Armutsbekämpfung

In Belgien ist jede fünfte Person von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Armutsbekämpfung ist also eine äuβerst wichtige, demokratische Herausforderung. Im Rahmen der Strategie Europa 2020 hat Belgien sich in seinem nationalen Reformprogramm (NRP) zum Ziel gesetzt, gegen 2020 380.000 Personen aus der Armut zu befreien.

Anhand 5 häufig gestellten Fragen möchten wir ein besseres Verständnis über diese Problematik gewährleisten:

  1. Was ist Armut
  2. Wie wird Armut gemessen?
  3. Wie wird Armut in Belgien bekämpft?
  4. Wie wird Armutsbekämpfung evaluiert?
  5. Welche Rolle spielt die soziale Sicherheit bei der Armutsbekämpfung?

1. Was ist Armut?

Gemäß dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) wird Armut als eine Kombination von Einkommens- und Entwicklungsmangel und sozialer Ausgrenzung umschrieben. Entwicklungsarmut umfasst alle grundlegenden Bedürfnisse für ein menschenwürdiges Leben, wie Gesundheit, Erziehung und Wohnung.

2. Wie wird Armut gemessen?

Die folgenden drei Indikatoren werden im Rahmen der europäischen Politik zur Messung der Armut verwendet:

  1. Armutsgefährdung aufgrund des Einkommens (finanzielle Armut)
  2. Erhebliche materielle Deprivation
  3. Haushalte mit sehr niedriger Erwerbsintensität

Wer mit zumindest einem dieser drei Risiken konfrontiert wird, ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Gemäß diesem europäischen Indikator sind 21,1 % der in Belgien ansässigen Personen durch Armut oder Ausgrenzung gefährdet.

2.1. Armutsgefährdung aufgrund des Einkommens

Als Maβstab für die finanzielle Armutsgefährdung gilt die Grenze von 60 % des Medianwertes des Äquivalenznettoeinkommens (= Armutsschwelle). Liegt das Gesamtnettoeinkommen eines Haushalts unter dem Medianeinkommen, so gilt der Haushalt als armutsgefährdet. Für Belgien wurde die Armutsschwelle für Alleinstehende auf ein jährliches Nettoeinkommen von 13.023 Euro, d.h. ein monatliches Nettoeinkommen von 1.085 Euro, und für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern (< 14 Jahre) auf ein jährliches Nettoeinkommen von 27.348 Euro, d.h. ein monatliches Nettoeinkommen von 2.279 Euro festgelegt.

Aufgrund dieses Maβstabs sind 14,9 % der belgischen Bevölkerung armutsgefährdet. 18- bis 24-Jährige (18,5 %), Arbeitslose (40,7 %), Einelternfamilien (36,4 %), Personen mit niedrigem Bildungsniveau (27,8 %) und Mieter (32,8 %) sind am stärksten bedroht.

Quelle: EU-SILC-Umfrage 2015 (englisch)

2.2. Erhebliche materielle Deprivation

Bestimmte Waren und Dienstleistungen werden als für eine angemessene Lebensführung notwendig angesehen. Dieser Indikator betrifft Personen, die nicht in der Lage sind, für mindestens 4 der folgenden Ausgaben aufzukommen:

  • Miete oder laufende Rechnungen;
  • angemessene Beheizung der Wohnung;
  • unerwartete Ausgaben;
  • jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder gleichwertiger Proteinzufuhr;
  • eine einwöchige Urlaub an einem anderen Ort;
  • ein Auto;
  • eine Waschmaschine;
  • einen Farbfernseher;
  • ein Telefon.

Nach diesem Indikator leben 5,8 % der Bevölkerung in erheblicher materieller Entbehrung.

Quelle: EU-SILC-Umfrage 2015 (englisch)

2.3. Haushalte mit sehr niedriger Erwerbsintensität

Dieser Indikator beschreibt die Situation von Personen in Haushalten, in denen niemand arbeitet (oder in denen die Familienmitglieder sehr gering arbeiten), aber die nicht notwendigerweise von einem sehr niedrigen Einkommen leben. Eine Person mit sehr niedriger Erwerbsintensität ist jemand zwischen 0 und 59 Jahren alt in einem Haushalt, in dem Erwachsene (Studenten nicht mitgerechnet) während des Referenzjahres weniger als ein Fünftel Ihrer Zeit gearbeitet haben.

14,9 % der Bevölkerung (0-59 Jahre alt) haben in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsintensität gelebt.

3. Wie wird Armut in Belgien bekämpft?

Auβer der zahlreichen in diesem Bereich tätigen Akteure (VoG, NRO, usw.) beruht die “institutionelle” Bekämpfung auf einem 1998 zwischen dem Föderalstaat und den Teilgebieten abgeschlossenen Kooperationsabkommen. Aufgrund dieses Abkommens verpflichten die verschiedenen Föderalbehörden, Gemeinschaften und Regionen sich dazu, “ihre Politik in Bezug auf die Prävention gegen prekäre Lebensumstände, Armutsbekämpfung und soziale Eingliederung unter Beachtung ihrer jeweiligen Befugnisse fortzuführen und zu koordinieren“.

Die Vertragspartner verpflichten sich dazu, jeder im Rahmen seiner Befugnisse, zur Erarbeitung eines Berichts beizutragen.

Mit dem Kooperationsabkommen von 1998 wurde auch ein Dienst zur Bekämpfung von Armut, prekären Lebensumständen und sozialer Ausgrenzung geschaffen. Der Dienst evaluiert die effektive Ausübung der Grundrechte von Personen, die in schwierigen sozialökonomischen Umständen leben: Recht auf eine angemessene Wohnung, Recht auf Energie, Recht auf Schutz des Familienlebens, Recht auf Sozialschutz, Recht auf Gesundheitsschutz, …

Ein föderaler Plan Armutsbekämpfung, woran alle föderalen Behörden beteiligt sind, wird angenommen, unter der Koordination des Staatssekretärs oder des für Armutsbekämpfung zuständigen Ministers (jetzt Staatssekretärin Elke Sleurs). Der dritte föderale Plan sollte in Kürze angenommen werden.

Im Hinblick auf die Entwicklung und Umsetzung der föderalen Armutsbekämpfungspläne wurde 2013 ein Netz föderaler Beamten eingerichtet, das vom PÖD Sozialeingliederung koordiniert wird. Auf lokaler Ebene sind die ÖSHZ für die Bekämpfung zuständig.

4. Wie wird Armutsbekämpfung evaluiert?

Es gibt mehrere Instrumente für die Evaluation der Armutsbekämpfung. Ohne vollständig zu sein, erwähnen wird folgende Werkzeuge:

  • die Analyse des FÖD Soziale Sicherheit "The evolution of the situation and social protection in Belgium" (Koordination: Rudi Van Dam), deren letzte Fassung in Juni 2016 publiziert wurde;
  • die Evaluation des Föderalen Plans durch das Netz, den Ministerrat und den Rechnungshof;
  • das interföderale Armutsbarometer;
  • der europäische 'Social Protection Performance Monitor';
  • die regelmäßige Prüfung durch die UN-Menschenrechtskommission;
  • die EU-SILC-Umfrage 2015 (englisch) 'European Union – Statistics on Income and Living Conditions' oder ‘Statistiken der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen’.

5. Welche Rolle spielt die soziale Sicherheit bei der Armutsbekämpfung?

Die Zahlen sprechen für sich: Ohne Sozialtransfers würden nicht 14,9 %, sondern 43,1% der Bevölkerung armutsgefährdet (finanzielle Armut) sein (Zahlen 2014)! Dies zeigt, dass die soziale Sicherheit ein erstes wirksames Mittel ist, um bestimmte Risiken, die Armut mit sich bringen können, zu bremsen. Die soziale Sicherheit dient zwar auch anderen Zwecken als Armutsbekämpfung, aber ist trotzdem ein vorrangiges Kriterium, um die effektive Ausübung des Sozialschutzes beurteilen zu können.

Das Kooperationsabkommen über die Kontinuität der Politik im Bereich Armut von 1998 bestimmt darüber: “die soziale Sicherheit hat eine vorrangige Bedeutung im Hinblick auf die Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Prävention gegen prekäre Lebensumstände, Armut und soziale Ungleichheit und die Emanzipation des Menschen“.

Artikel 23 unseres Grundgesetzes bestimmt seinerseits:

“Jeder hat das Recht, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Zu diesem Zweck gewährleistet das Gesetz, das Dekret oder die in Artikel 134 erwähnte Regel unter Berücksichtigung der entsprechenden Verpflichtungen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und bestimmt die Bedingungen für ihre Ausübung. Diese Rechte umfassen insbesondere: (…) 2° das Recht auf soziale Sicherheit, auf Gesundheitsschutz und auf sozialen, medizinischen und rechtlichen Beistand; (…)”.

Die Auswirkung der sozialen Sicherheit hängt selbstverständlich von den eingesetzten Mitteln ab. Aus diesem Grund muss die Finanzierung strukturell und zuverlässig sein.